Wie der junge Kurfürst Carl Theodor die Kurpfalz ins „Goldene Zeitalter“ führte

Der 18 Jahre alte Carl Theodor hatte zwei Ratgeber – Ihre Gutachten waren eine Art von 100-Tage-Programm – Gespräch mit der Historikerin Susann Richter

Wie bereitete man früher Kinder und Jugendliche darauf vor, dass sie einmal als Herrscher über das Wohl und Wehe ihrer Untertanen entscheiden würden? Damals gehörten zur Ausbildung künftiger Regenten Lesen, Schreiben, Rechnen, Fechten und Reiten, Sprachen und Geschichte. Aber wurden sie wirklich auf ihre Aufgaben vorbereitet – für Themen wie Finanzen, Verwaltung und Rechtsprechung?

Unerwartete Ernennung zum Kurfürsten der Pfalz

Als Carl Theodor 1742 mit nur 18 Jahren aufgrund eines Todesfalls in der Familie überraschend zum Kurfürsten der Pfalz wurde, war er nur bedingt für diese Herausforderung gerüstet. So stellte sich die Schwetzinger Historikerin Susan Richter, Professorin an der Universität Kiel, in ihrer eigenen Studienabschlussarbeit die Frage: „Gab es einen Berater, der dem jugendlichen Regenten mit Rat zur Seite stand?“ Sie fand heraus: Es gab nicht nur einen, sondern gleich zwei Berater. Jeder schrieb für den Kurfürsten eine Denkschrift. „Das entspricht einem modernen 100-Tage-Programm“, so Richter.

Die Gutachten fand die Wissenschaftlerin in dem „Göttingischen Historischen Magazin“, das zwischen 1787 und 1794 historische Quellen veröffentlichte. Dazu zählten die Schriften „Weisheit und Thorheit“ und „Initiation“. Die Autoren sind nur abgekürzt genannt. Es waren sehr wahrscheinlich die Kurfürsten-Erzieher Marquis d’Ittre und der Jesuitenpater Seedorf. Beide machten in den folgenden Jahren unter Carl Theodor Karriere. Einer blieb Beichtvater des Kurfürsten, der andere wurde Premierminister. Vor allem der Beichtvater war später gefürchtet. Susan Richter zitiert einen anonymen Beobachter: „Der große Fuchs-Schwänzer, der sich stellet, als wenn er sich mit nichts einlasse, dennoch aber den Fürsten lenket, wie er nur will.“

Kurfürst Karl Theodor von der Pfalz (1767)

Beim Regierungsantritt sieht alles noch anders aus. Beide Autoren sind sich einig: Der Staat ist ein Abbild der Schöpfung – der Herrscher als Gottes Stellvertreter ist dazu verpflichtet, für die „Glückseligkeit“ seiner Untertanen zu sorgen. Willkür, Egoismus Verschwendung oder Bereicherung sind dem Herrscher nicht erlaubt. Es fehlen Details, die den Regenten an Regeln binden würden. So bleibt er nur seinem Gewissen verpflichtet.

Die Liberalität der Autoren zeigt sich in der schonungslosen Analyse der Situation. Sie nehmen kein Blatt vor dem Mund. Die Landwirtschaft soll gestärkt werden, um Hungersnöte zu vermeiden. Vor allem aber soll der Kurfürst die immense Schuldenlast, die er von den Vorgängern erbt, tilgen – für die Unabhängigkeit des Staates und die eigene Handlungsfreiheit als Staatsmann. Erstmals gibt es den Rat, dass der Kurfürst mit Hilfe von statistischen Zahlenerhebungen einen Überblick über sein Territorium und seine Bewohner gewinnen solle. Was heutzutage selbstverständlich ist, ist damals neu. „Wer weiß, wie viele Menschen in seinem Gebiet leben, der kann wie heute auch Steuerschätzungen vornehmen und einen realistischen Finanzplan erstellen“, so Susan Richter.

Eine Schrift rät für den großen Befreiungsschlag von den Schulden zur Schaffung einer Staatsbank – was jedoch nicht in die Tat umgesetzt wurde. Ein weiterer Ratschlag: In dem Territorium des Kurfürsten herrschte, wie im gesamten Heiligen Römischen Reich, ein Wirrwarr an Gesetzen und Verordnungen. In der Folge gab es keine einheitliche Rechtsprechung. Die Untertanen wehrten sich mit einer Flut von Prozessen, die von den Justizvertretern oft eigennützig über Jahre verschleppt wurden, bis die Prozessgegner durch die hohen Prozesskosten in den Ruin getrieben wurden.

Wappen Karl Theodors am Mannheimer Zeughaus

Die Gutachter schlugen daher eine Änderung vor – und der Kurfürst folgte zunächst ihren Ideen: Er wies die Justiz an, unklare Fälle zu melden. Das dauerte ganze sechs Jahre! Die Klärung der Unklarheiten wurde dann nie in Angriff genommen. „Erst König Friedrich II. von Preußen mit dem Allgemeinen Landrecht und Napoleon mit dem Code Napoleon schufen in Deutschland einheitliches Recht und damit mehr Transparenz und Sicherheit“, so Richter. In der Kurpfalz war das Problem immerhin erkannt worden.

Neben der Tilgung der Schulden war für die Autoren das wichtigste Ziel: Frieden. Für die von Kriegen gezeichnete Kurpfalz rieten Marquis d’Ittre und Pater Seedorf S.J. zur strikten Einhaltung der Neutralität. Carl Theodor hielt sich daran und bescherte seinem Land einen langen Frieden. „Das gehört sicherlich zu den großen Verdiensten seiner Regentschaft“, stellt Susan Richter fest.

Mit der Sparsamkeit klappte es nicht so gut. Zu Beginn war Carl Theodor knausrig: Teure Feste wurden gestrichen, Luxusgüter reduziert. Dann änderte sich der Kurs: Der Kurfürst investierte in Feste, aber auch in Musik, Schauspiel und Wissenschaft. „Nur der Kurfürst konnte diese Förderung vornehmen“ und international bekannte Künstler hier versammeln, so Susan Richter. Der Herrscher gab seinem Land innovative Impulse – und es entfaltete sich eine Epoche, die man heute das „Goldene Zeitalter“ der Kurpfalz nennt.

Rhein-Neckar-Zeitung 17.11.2020 Marion Gottlob im Gespräch mit Historikerin Susann Richter